Homeless New York 1990 1990/2013

(Black / White)

 

Skrien Okt.-Nov. 1993, Amsterdam.

Der erste Obdachlose verlangt ein paar Dollar für seinen Auftritt vor der Kamera. Scheugl gibt sie ihm und erzählt davon zu diesen Bildern. Dadurch durchbricht er direkt ein dokumentarisches Tabu. Sein Obdachloser ist ein bezahlter Akteur geworden und Scheugl ein Beobachter, der in die Welt vor der Kamera eingreift.

Black/White ist ein Metafilm, der einen Kommentar liefert über das Machen von Dokumentarfilmen. Scheugls Hintergrund als formaler Filmemacher spielt in Black / White eine Rolle. In einer sehr langen Fahrt um den Tomkins Square Park, wo sich Obdachlose versammeln und aufhalten, geht es nicht um Individuen, und es spielt keine Rolle, wer sich nun eigentlich in der ‚soup line’ anstellt. Der Platz wird nur als Raum behandelt. Die durchgehende Bewegung sagt etwas über die Funktion des Platzes, was mehr ist als die bloße Information, dass sich hier Obdachlose aufhalten. Die Art, wie Menschen sich umeinander bewegen, hat ihre Entsprechung in der kreisenden, voyeuristischen Kamera. Der Ort wird fühlbar gemacht.

Diese nicht-dokumentarische Sichtweise ist auch sehr zutreffend bei einem Gespräch zwischen drei Schwarzen, die nicht, wie man es gewohnt ist, interviewt werden. Scheugl filmt wie zufällig ihr Gespräch, aber es ist auch nicht so, dass die Männer sich der Kamera nicht bewusst wären. Sie reden über das Schlafen in den U-Bahnen und in den ‚shelters’, den Obdachlosenheimen, die wegen der Aggression, die dort herrscht, lebensgefährlich sind. Ihr Körperausdruck sagt mehr als die Geschichten, die sie erzählen. Gerade durch das Vermeiden der Interview-Form entsteht ein Reichtum an sekundärer Information.

Auf der einen Seite kommen einem diese Bilder sehr vertraut vor aus anderen Reportagen: es ist die bekannte Geschichte von der Armut im reichen Amerika. Aber dadurch, dass Scheugl diese Bilder auf eine formale Weise bringt, unterscheidet er sie von dem, was wir gewohnt sind, wird sein Film ausgesprochen persönlich.

Gertjan Zuilhof: Neues Leben in einer alten Disziplin, in: Skrien, Okt.-Nov. 1993, Amsterdam.
(Gekürzte und aus dem Niederländischen übersetzte Fassung).