Dear John

            2015

         Buch, Regie, Schnitt: Hans Scheugl

Ein A, unscharf auf rosa Hintergrund – ein erster Buchstabe auf einer Reise, die nicht alphabetisch zum Z geht, auch wenn viele letters vorkommen: nicht Buchstaben, sondern Briefe. Der Briefwechsel verbindet zwei Welten: ein Leben in den USA und eines in Wien. Das Zeichen mit dem A markiert ein Haus irgendwo in Amerika, das der Filmemacher Hans Scheugl mittels Google Street View gefunden hat, für ihn die unerwartete Wiederentdeckung eines fast vergessenen Freundes. Mit diesem Freund, er heißt John, hätte Scheugl vor 50 Jahren in den USA ein neues Leben anfangen können.
„Dear John“, sagt Scheugls Stimme mit schön akzentbehaftetem Englisch zu ersten Wien-Bildern: Momentaufnahmen und Beginn einer Straßenbahnfahrt in Richtung Prater. Die Kamera gleitet durch Straßen, über die immer wieder Zeilen aus Johns Briefen treiben. Spiegelungen überall. Dear John ist ein verquerer Erinnerungsfilm, eine dokumentarische Reflexions-Fantasie über eine imaginäre Existenz. Johns Stimme hat er vergessen, seinen Körper erinnert er unscharf, erzählt Scheugls Voice-Over, so unscharf wie das A zu Beginn als Zeichen für Johns heutige Existenz.

Die Idee des abhanden gekommenen Lebens rekonstruiert Scheugl poetisch mittels vielfältiger Korrespondenzen, geschriebenen und visuellen: Beiläufige Beisl-Bilder von heute zur Erzählung von Abenden im Glück der Jugend, dazwischen Johns Einladungen und Berichte von brotloser Kunst, denkwürdigen Begegnungen und seinem Schrecken über die Einberufung zur Armee am Beginn des Vietnam-Krieges, leitmotivisch der Beefcake-Kurzfilm The Cyclist and the Werewolf als Traumbild-Gegenstück zu Geisterbahnen im Prater, wo der Film am Ende wieder ein A an der Basis des Riesenrades entdeckt. Dear John beschreibt einen Kreis, der sich nicht schließen kann, weil die Distanz zwischen den zwei Leben unüberbrückbar bleibt, egal wie aufmerksam man sich aufeinander zubewegt – in jeder Hinsicht ein bewegender Film.
(Christoph Huber)

 

Streaming: VoD (Video on Demand)

Presse / Film